Der Bundesgerichtshof hat entschieden, daß das für die Prüfung der öffentlichen Zugänglichmachung i.S.d. § 19a UrhG relevante Kriterium „recht viele Personen“ nicht erfüllt ist, wenn ein Produktfoto, dass zunächst von einem Verkäufer urheberrechtsverletzend auf einer Internethandelsplattform im Rahmen seiner Verkaufsanzeige öffentlich zugänglich gemacht worden war, nach Abgabe einer Unterlassungserklärung des Verkäufers nur noch durch die Eingabe einer rund 70 Zeichen umfassenden URL-Adresse im Internet zugänglich war und nach der Lebenserfahrung davon auszugehen ist, dass diese URL-Adresse nur von Personen eingegeben wird, die diese Adresse zuvor – als das Foto vor Abgabe der Unterlassungserklärung noch im Rahmen der Anzeige des Verkäufers frei zugänglich gewesen war – abgespeichert oder sie sonst in irgendeiner Weise kopiert oder notiert haben, oder denen die Adresse von solchen Personen mitgeteilt worden war.
BGH, Urteil vom 27. Mai 2021 – I ZR 119/20 – „Lautsprecherfoto“
Anmerkung:
Der Kläger hat anscheinend erstmals in der Berufungsinstanz geltend gemacht, daß ein Produktfoto keineswegs nur noch dann angezeigt wird, wenn man die dazugehörige URL eingibt. Sondern z.B. auch dadurch „öffentlich“ bleibt, dass sich der Interessent, der einen Gegenstand anhand von Kleinanzeigen suche, auf einer solchen Plattform nicht nur eine einzige Anzeige ansieht, sondern alle diejenigen durchforstet, die seinem Suchprofil entsprechen und nach Durchsicht in Betracht kommenden Inserate diese zunächst in seinem Nutzeraccount speichert, um anhand der so geschaffenen Vorauswahl nach Merkmalen wie Farbe, Design, Alter und Zustand des Gegenstands, Fahrtstrecke bei eventuell erforderlicher Abholung etc. seine endgültige Auswahl zu treffen.
Da bei eBay stets die Möglichkeit besteht, als Interessent doch nicht zum Zuge zu kommen, bestehe regelmäßig zunächst kein Anlass, sofort alle übrigen herausgefilterten Inserate zu löschen. Und ein hoher Prozentsatz der Nutzer lösche allenfalls sporadisch seine entsprechenden URL-Speicherungen. Dementsprechend sei entgegen der Annahme der Vorgerichte eine massenhafte Zahl an Speicherungen von Fotos anzunehmen, die im Falle ihres Verbleibs auf dem Server auch nach Deaktivierung der Anzeigen als solche weiter abrufbar sind, ohne eine URL eintippen zu müssen.
Wohl ebenfalls erst in der 2. Instanz hat der Kläger vorgebracht, dass Bilder auch unabhängig von der Eingabe eines Links über Suchmaschinen wie insbesondere Google auffindbar sind.
Der BGH hat sich mit den etwaigen rechtlichen Auswirkungen dieser Umstände aus zivilprozessualen Erwägungen heraus ausdrücklich nicht befasst:
Die Revision ist […] der Ansicht, dass es sich bei den von ihr erstmals in der Revisionsinstanz vorgetragenen Umständen um Erfahrungssätze handele, die vom Berufungsgericht als gemäß § 291 ZPO offenkundige Tatsachen hätten berücksichtigt werden müssen. Damit kann sie keinen Erfolg haben.
Die Vorschrift des § 291 ZPO ist entgegen der Rüge der Revision bereits deshalb nicht verletzt, weil sie nur dem Zeugenbeweis zugängliche Tatsachen, nicht dagegen Erfahrungssätze betrifft, die gegebenenfalls mit Hilfe eines Sachverständigen zu ermitteln sind. Bei den von der Revision vorgebrachten Umständen handelt es sich – nach Ansicht der Revision – um Erfahrungssätze und nicht um Tatsachen.
Die von der Revision vorgetragenen Umstände sind – soweit es sich um Tatsachen handelt – zudem weder gerichtsbekannt noch sonst allgemeinkundig.
Dementsprechend durfte das Berufungsgericht – so der BGH – den entsprechenden Vortrag unberücksichtigt lassen:
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, soweit der Kläger mit Schriftsatz vom 2. März 2020 erstmals geltend gemacht habe, Suchmaschinen könnten Internetinhalte finden, ohne dass die URL zwingend bekannt sein müsse, handele es sich bei diesem Vorbringen um eine pauschale Angabe ohne Bezug zum konkreten Fall. Auch der entsprechende Vortrag in der mündlichen Berufungsverhandlung, es sei möglich gewesen, das streitgegenständliche Foto (auch) über die Google-Bildersuche aufzufinden, sei ohne nähere Substanz. Im Übrigen habe der Kläger diese Behauptung trotz Bestreitens des Beklagten nicht unter Beweis gestellt. Unabhängig davon könne dieser in der Berufungsinstanz neue und vom Beklagten bestrittene Vortrag jedenfalls nach § 531 Abs. 2 ZPO nicht mehr berücksichtigt werden, weil keine der drei dort geregelten Zulassungsvoraussetzungen erfüllt seien. Diese Beurteilung hält den Angriffen der Revision stand.
Es folgt dann eine kleine höchstrichterliche zivilprozessuale „Nachhilfestunde“. Zunächst zum Thema „neuer Vortrag“:
Das Landgericht hat festgestellt, der Kläger habe nicht vorgetragen, dass die Lichtbilder nach Entfernung des Links auf eine andere Weise als durch Eingabe des Links auffindbar gewesen seien. Es hat damit tatbestandliche Feststellungen getroffen, die den Beweis für das mündliche Parteivorbringen liefern (§ 314 Satz 1 ZPO). Zum Tatbestand in diesem Sinne gehören auch tatsächliche Feststellungen, die sich in den Entscheidungsgründen finden. Eine Unrichtigkeit dieser Feststellung kann grundsätzlich nur im Berichtigungsverfahren (§ 320 ZPO) geltend gemacht und gegebenenfalls behoben werden. Der Kläger hat es jedoch versäumt, sich mit einem Tatbestandsberichtigungsantrag gemäß § 320 ZPO gegen die tatbestandlichen Feststellungen des landgerichtlichen Urteils zu wehren. Damit ist sein im Berufungsverfahren gehaltener, davon abweichender Vortrag, die Lichtbilder seien auch ohne Eingabe des Links durch Suchmaschinen auffindbar gewesen, als neu im Sinne von § 531 Abs. 2 ZPO anzusehen und war deshalb nur unter den in § 531 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 ZPO geregelten Voraussetzungen zuzulassen. Das Berufungsgericht hat angenommen, keine dieser Voraussetzungen sei im Streitfall erfüllt. Diese Beurteilung wird von der Revision nicht angegriffen und lässt auch sonst keinen Rechtsfehler erkennen.
Und dann zum Thema „substantiierter Vortrag“:
Die Revision bleibt ferner ohne Erfolg, soweit sie geltend macht, die Existenz der Suchmaschine Google und ihrer Bildersuche und entsprechender anderer Suchmaschinen sei gemäß § 291 ZPO allgemeinkundig und entspreche der Lebenserfahrung, so dass diese Umstände schon nicht vorgetragen werden müssten. Das Berufungsgericht hat nicht die Existenz dieser Suchmaschinen und die von ihnen zur Verfügung gestellten Funktionen im Allgemeinen in Abrede gestellt, sondern angenommen, der Kläger habe nicht hinreichend substantiiert und in prozessrechtlich zulässiger Weise vorgetragen, dass konkret das streitgegenständliche Foto auch ohne Kenntnis und Eingabe des vielstelligen Links nach Abgabe der Unterlassungserklärung noch im Internet aufrufbar gewesen sei.
Die Revision dringt außerdem nicht mit ihrer Ansicht durch, es gehöre zu den im Sinne von § 291 ZPO allgemeinkundigen und daher nicht der Behauptungslast des Klägers unterfallenden Umständen, dass nicht einmal die vollständige Löschung einer URL Bilddateien aus dem Cache von Suchmaschinen entferne. Zum einen ist dieser Umstand weder allgemein- noch gerichtsbekannt. Zum anderen ergibt sich aus einem solchen abstrakten technischen Befund noch kein hinreichend sicherer Schluss, dass das hier konkret streitbefangene Foto nach Abgabe der Unterlassungserklärung durch den Beklagten trotz Löschung der URL mittels einer Suchmaschine abrufbar war. Auch die Revision macht nicht geltend, dass der Kläger vorgetragen und diesen Vortrag – beispielsweise unter Vorlage eines Screenshots – substantiiert hat, dass das Foto mittels einer Eingabe in die Suchmaske einer Suchmaschine aufgefunden werden konnte.
Es ist daher anzunehmen, daß diese Entscheidung des BGH sicherlich nicht das letzte Wort zu dieser praktisch recht relevanten Streitfrage gewesen sein dürfte, da sie ausschließlich auf prozessualen Aspekten beruht und die Frage des Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen einer öffentlichen Zugänglichmachung bei auf dem Server verbleibenden Fotos inhaltlich gerade nicht abschließend geklärt werden konnte.
In der Zwischenzeit dürfte es riskant sein, sich darauf zu verlassen, dass diese BGH-Entscheidung vor einer etwaigen Inanspruchnahme in entsprechenden Konstellationen schützt. Denn die – im Kern ja grundsätzlich zutreffenden – tatsächlichen Argumente, die in diesem Rechtsstreit dem Urteil nicht zugrundegelegt werden konnten, werden in jeder neueren Auseinandersetzung sicherlich zu würdigen sein.
Die Anleitung zur Verfahrensführung hat der BGH nun geliefert…